Eine kleine Chronik

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Der Wetzlarer Dombau-Verein e.V.

Zur Finanzierungsgeschichte des Wetzlarer Doms

Das Besondere am Engagement der Wetzlarer Dombau–Vereine lässt sich durch einen kurzen Blick auf die Geschichte der Finanzierung des Wetzlarer Dombaus erkennen. Immer wieder haben Mitglieder des Stifts und der katholischen, später auch der evangelischen Stadtgemeinde, die wechselnden Landesherren und die Stadt Wetzlar durch besondere Zuwendungen zur Verschönerung und zum Erhalt der Kirche beigetragen. Die kontinuierliche Mitbeteiligung eines Vereins an diesen Aufgaben ist dagegen eine verhältnismäßig junge Erscheinung, die mit der Geschichte des Bauwerks selbst, aber auch mit der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verknüpft ist.


"Heidenturm" und Heidenportal" der spätromanischen Kirche. Bauzustand vor 1903


Ansicht der Nordseite der heute bestehenden Kirche. Bauzustand vor 1903. Beide Bauaufnahmen von Ernst Stiehl

Als um die Mitte des 10. Jahrhunderts zwei Grafen aus dem bedeutenden Adelsgeschlecht der Konradiner in Wetzlar ein Marienstift gründeten und diesem die bereits bestehende, 897 geweihte Salvatorkirche als Stiftskirche übertrugen, übernahm das neugegründete und mit Einnahmequellen, Rechten und Pflichten ausgestattete Stift auch Kosten für spätere Aus- und Umbauten dieser Kirche. Weil sich um das Stift ein prosperierender Marktort bildete, der 1141 erstmals urkundlich mit Namen genannt wurde, vor 1160 die Reichsburg Kalsmunt erhielt und 1180 von Kaiser Friedrich Barbarossa als Reichsstadt in bereits bestehenden Rechten bestätigt wurde, war auch eine bürgerliche Stadtgemeinde entstanden, der die Stiftskirche als Stadtpfarrkirche diente. Im Mittelalter trug üblicherweise die Pfarrei die Kosten für Bauarbeiten an ihrer Pfarrkirche, weshalb auch die Wetzlarer Bürger an den jeweiligen Bau- und Reparaturkosten ihrer Pfarrkirche zu beteiligen waren. Weil in einer gemeinsamen und gar gleichberechtigten Trägerschaft von Stift und Stadtgemeinde an den Baulasten offenbar beträchtliches Potential für zukünftige Unstimmigkeiten lag, hatte sich das Marienstift wiederholt bestätigen lassen, dass die Stadtpfarre dem Stift inkorporiert war. Das bedeutete, dass die Einkünfte aus der Stadtpfarre in vollem Umfang dem Stift zuflossen, so dass letztlich doch die Stiftsherren alleine das jeweilige Baugeschehen bestimmen konnten. Auf dieser Basis erfolgte im 12. Jahrhundert zwischen 1170 und 1190 der Bau einer neuen, wesentlich größeren Kirche in den Formen der Spätromanik, von der bekanntlich noch Reste der Westfassade mit Heidentor und Heidenturm erhalten sind. Im 13. und 14. Jahrhundert ist die Finanzierungsgeschichte durch zahlreiche Auseinandersetzungen um die Beteiligung der Bürger am Baugeschehen rund um die Stifts- und Stadtkirche geprägt. Verschärft hatten sich diese Streitigkeiten, als das Stift schon um 1220 den Bau einer neuen, noch größeren Stiftskirche plante und kurz vor 1230 tatsächlich mit dem Bau dieser - der heute noch bestehenden - Kirche begann.

Auch ein noch so kurzer Blick in die Geschichte der Finanzierung des eindrucksvollen Bauwerks, das damals schrittweise entstand, muss den Eintritt der Reformation im frühen 16. Jahrhundert berücksichtigen, in deren Folge schließlich um die Mitte des Jahrhunderts als dritter Träger der Baulast eine evangelisch–lutherische Gemeinde zu den beiden bisher Beteiligten hinzutrat. Als schließlich 1806 das Marienstift durch die Säkularisation aufgelöst wurde, schied damit der älteste Bauträger aus dem Kreis der Verantwortlichen für den Unterhalt der Kirche aus.

Gelegentlich – so insbesondere nach dem Dreißigjährigen Krieg - war die Reichsstadt Wetzlar mit nennenswerten Zuschüssen zur Bauunterhaltung aufgetreten, weil in der Kasse des Bauhofs die jeweils erforderlichen Mittel fehlten. Daraus ist nicht zu schließen, dass die Stadt als Körperschaft sich zwischenzeitlich zur Beteiligung an den Baulasten verpflichtet hätte. Wenn sie sich heute vertragsgemäß an der Unterhaltung des Doms beteiligt, so hat diese Beteiligung ihre eigene kleine Geschichte.

Als nämlich Wetzlar mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation 1806 den Status einer Reichsstadt verlor und auch das Marienstift aufgehoben wurde, erwartete man nun, wenn die örtlichen Mittel nicht ausreichten, Hilfe von den wechselnden Landesherren beim Unterhalt des Wetzlarer Doms. 1806 war der letzte Kurfürst und Reichserzkanzler des Alten Reichs, der Erzbischof von Mainz und Regensburg Carl Theodor von Dalberg, als Großherzog von Frankfurt und Graf von Wetzlar Landesherr geworden. Nur neun Jahre später trat nach dem Wiener Kongress dann das Königreich Preußen an seine Stelle, zu dessen erweiterter Rheinprovinz Wetzlar nunmehr gehörte. Carl Theodor von Dalberg als Rechtsnachfolger des aufgelösten Marienstifts ließ wohl nur die damals dringendsten Reparaturarbeiten an der Nordwand des Doms ausführen und die ebenfalls dringliche Neueindeckung des Dachs über dem Chor planen. Sie wurde jedoch erst 1823 unter preußischer Oberhoheit ausgeführt – allerdings sehr fehlerhaft und somit Ursache für mancherlei Nachbesserungen. Unter dem Gesichtspunkt der Domerhaltung lag von Dalbergs größter Verdienst sicherlich in der von ihm 1808 eingeführten Regelung für die Aufteilung der jeweils anfallenden Baukosten auf die verschiedenen Leistungsträger. Seine Regelung sah vor, dass die evangelische und die katholische Domgemeinde je 9/24, der später nach ihm benannte Dalberg'sche Kirchen- und Schulfonds, in den er zum Teil Vermögen und Einkünfte des Marienstifts überführt hatte, 2/24 und die "öffentliche Hand" 4/24 der jeweils anfallenden Baukosten übernahmen.


Der Dom zu Wetzlar mit der "Alten Wache" um 1810. Anonyme kolorierte Umrissradierung

Die Stadt Wetzlar trat hier noch nicht unter den Kostenträgern auf, sondern als "öffentlichen Hand" war in diesem Fall der "Staat" anzusehen, also das Dalberg'sche Territorium. Dessen Beteiligung erklärte sich aus dem Umstand, dass das Marienstift seit dem Mittelalter für von ihm übernommene "obrigkeitliche" Aufgaben - z.B. die Verwaltung der weltlichen Gerichtsbarkeit, die Wahrnehmung des Marktrechts, die Verwaltung der Lehen, die Armen- und Krankenpflege u.a. – eine Umlage, den sog. Probsteizehnten, erhoben und daraus auch den Dom und seine Unterhaltung mitfinanziert hatte. Diese Einkünfte mit den damit verbundenen Verpflichtungen waren nun an den Landesherrn v. Dalberg gefallen und wurden auch noch nach 1815 vom Königreich Preußen übernommen. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Neuregelung der Verteilung des ehemaligen Probsteizehnten, indem nunmehr die Stadt die Hälfte der Einnahmen daraus erhielt und damit automatisch auch 2/24 der Bau- und Unterhaltungskosten des Wetzlarer Doms übernahm, also denselben Kostenanteil, der auch vom Dalberg'schen Kirchen- und Schulfonds getragen wurde. Die noch fehlenden 2/24 der Kosten wurden vom Landkreis, also vom preußischen Staat übernommen, fielen später aber den beiden Kirchengemeinden zu. Im Rahmen einer Neufassung der Satzung der Dombauverwaltung wurde 1982 die Kostenverteilung folgendermaßen geregelt: Die beiden Kirchengemeinden tragen je fünf Zwölftel der Baulast, der Dalberg'sche Kirchenfonds und die Stadt Wetzlar je ein Zwölftel. Die heute geltende Regelung stützt sich letztlich also auf eine mehr als 150 Jahre alte Umverteilung des mittelalterlichen "Probsteizehnten".


Gerhard v. Reutern (1794-1865) Der Dom zu Wetzlar. Aquarell, dat. 21.März 1834


Friedrich Deiker d.J. (1820-1836) Der Dom zu Wetzlar mit der Alten Wache. Aquarell, 1835


Älteste Innenansicht des Doms zu Wetzlar im Gesangbuch der evangelischen Kirchengemeinde Kupferstich (Ausschnitt) 1751
Im nördlichen Seitenschiff (links) sind die hölzernen Emporen für die evangelischen Mitglieder des Reichskammergerichts sichtbar. Sie wurden 1837 im Zuge der Innenraumrenovierung entfernt. Ebenfalls sichtbar ist rechts hinten die sog. "Bicken-orgel", die sich seit 1648 an dieser Stelle befand, 1686 auf den Lettner umgesetzt und dort 1758 durch eine neue Orgel ersetzt wurde.

Es war zu erwarten, dass das Interesse an der Kirchenerhaltung auch durch die konfessionelle Ausrichtung der neuen Landesherren mitbestimmt wurde. Auswirkungen einer spezifisch katholisch ausgerichteten Kirchenpolitik können für die kurze Zeit der Dal-


Friedrich Christian Reinermann, Blick auf Wetzlar von Nordosten. Im Hintergrund die Burgruine Kalsmunt. Sepiatuschzeichnung, vor 1818

berg'schen Regierung indessen nicht festgestellt werden. Das änderte sich, als Wetzlar an das evangelische Preußen fiel. Insbesondere das persönliche Engagement des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. hatte gravierende Folgen für die Ausgestaltung des Gotteshauses [2].

Nachdem eine besondere Kollekte 2.000 Reichstaler erbracht hatte und durch eine nennenswerte Spende des preußischen Königs [3] noch fehlende Mittel hinzugekommen waren, ging 1837 ging die evangelische Gemeinde an die längst überfällige Innenrenovierung des von ihr genutzen Lang- und Querhauses. Zuerst wurden die immer noch hier stehenden 22 mittelalterlichen Altäre abgebaut. War wegen der schlichten Gestaltung der Altäre, die als steinerne Altartische überwiegend ohne Aufsätze, Altargemälde u.a. ausgeführt waren, dieser Verlust weniger schmerzlich, so muss man die Zerstörung des 1507 gestifteten spätgotischen Sakramentshauses im südlichen Arm des Querhauses zutiefst bedauern. Es war aus Marmor gearbeitet und hatte eine Höhe von ca. sieben Metern. Detaillierte Angaben über sein Aussehen fehlen, doch erwähnen alle zeitgenössischen Quellen stets "Säulen" als besonderes Merkmal. Die in anderen Kirchen überlieferten zeitgleichen Sakramentshäuser, in denen das Allerheiligste aufbewahrt wurde, vermitteln eine lebhafte Anschauung vom Bestreben spätmittelalterlicher Steinmetze, die filigranen Architekturen dieser kostbaren "Häuser im Haus" mit größter Kunstfertigkeit und Fantasie zu gestalten. Auch die als Bildhauerarbeiten ausgeführten Szenen aus der Leidensgeschichte Christi – Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung und Kreuzabnahme - die sich im Langhaus befanden, jedoch durch Brettereinschalungen der Betrachtung entzogen waren, wurden entfernt. Nur die Statuen des kreuztragenden Christus und die bekannte "Pietà" blieben erhalten. Ebenfalls demontierte man die beiden hölzernen Emporen, die im frühen 18. Jahrhundert für die evangelischen Mitglieder des Reichskammergerichts in den Seitenschiffen eingebaut worden waren. Die Orgelempore an der Westwand des Mittelschiffs wurde neugotisch gestaltet, harmonierte danach aber nicht ideal mit den markanten frühklassizistischen Formen, die den Prospekt der Stumm–Orgel aus dem Jahr 1785 charakterisierten. Das traditionelle, aber völlig uneinheitliche Kirchengestühl der begüterten Wetzlarer Familien wich einer einheitlichen Ausstattung mit Kirchenbänken.


Der Dom zu Wetzlar mit der "Alten Wache". Lithographie von Georg Kitterle nach G. Krafft, Wetzlar, um 1825

Man muss davon ausgehen, dass es die persönliche finanzielle Beteiligung des evangelischen preußischen Königs an der Innenrestaurierung war, die die evangelische Stadtgemeinde ermutigte, gegen den Einspruch der katholischen Gemeinde diese zum Teil brachiale "Reinigung" des Lang- und Querhauses und der Seitenschiffe im Sinn einer reformatorisch nüchternen, bildarmen Kircheninnenraumgestaltung durchzusetzen. Die katholische Gemeinde sah sich ihrerseits zum Handeln aufgerufen und nahm einige Veränderungen im Chor vor, der traditionell von ihr genutzt wurde. Rechts und links vom Hochaltar wurden tapisserieähnliche Malereien mit Szenen aus dem Marienleben – Verkündigung und Geburt Jesu – angelegt, die dem Zeitgeschmack entsprechend präraffaelitisch–nazarenisch ausgeführt waren. Ob auch die Gesamtausmalung des Chors mit stilisierten Pflanzenornamenten in diese Zeit fiel, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Außerdem finanzierte die Gemeinde aus eigenen Mitteln eine neue Orgel, die wie ihre Vorgängerin aus dem Jahr 1758 auf dem Lettner Platz fand [4]. Nun erschienen erstmals der evangelische und der katholische Kirchenbereich stilistisch unterschieden, zumal auch die Fenster im Chor bald danach neu gestaltet wurden.