Eine kleine Chronik

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Der Wetzlarer Dombau-Verein e.V.

Der erste Wetzlarer Dombau-Verein

Die erwähnte Innenraumsanierung von 1837/38 konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gesamtzustand des Baus desolat war. Immer wieder berichten die Akten des 19. Jahrhunderts von kleineren und größeren Reparaturen am Querhaus, am Dach über dem Chor, an den Gewölben und an den Fenstern. Angesichts des mangelhaften Bauzustands wiesen in einem Aufruf am 19. Juni 1857 im Wetzlarer Kreis- und Anzeigeblatt erstmals prominente Wetzlarer Bürger darauf hin, dass die hiesige Domkirche ein höchst beachtenswertes Baudenkmal des Mittelalters darstelle und nicht nur der hiesigen Stadt, sondern der ganzen Umgegend … zur edelsten Zierde gereiche, und regten erstmals die Gründung eines Dombau-Vereins an. Sie erfolgte bereits am 29. Juni desselben Jahres [5].

Den Gründungsmitgliedern dieses ersten Dombau-Vereins war klar, dass eine umfassende Sanierung der Kirche bei weitem die Mittel überstieg, die am Ort selbst aufgebracht werden konnten, und sie stellten fest: Wohl wird sich dieser Zweck wegen des dazu erforderlichen großen Kostenaufwands nur mit Hilfe des Staates erreichen lassen. Die Gründung eines lokalen Dombau–Vereins hatte nach ihrem Verständnis zunächst eine symbolische Bedeutung, insofern sie das lokale Interesse an der Erhaltung des Bauwerks zum Ausdruck brachte. Den Staat an der Domsanierung zu beteiligen erschien den "Gründungsvätern" nur statthaft, wenn zunächst die Bürgerinnen und Bürger in der Stadt und im Landkreis bewiesen hätten, was sie selbst zu der beabsichtigten Maßnahme beitragen wollten. Darüber hinaus aber schien es den Gründungsmitgliedern wichtig, einen Verein zu bilden, dessen Aufgabe es wäre, zu jenem Zwecke nicht nur Privatmittel herbeizuschaffen, sondern auch die geeigneten Vorstellungen an die betreffenden Staatsbehörden und an des Königs Majestät Allerhöchst selbst gelangen zu lassen. Der Verein sollte also nicht nur private Mittel akkumulieren, sondern auch als Sprachrohr und Kommunikationspartner gegenüber dem Staat, seinem Repräsentanten und seinen Organen auftreten. Offenbar war man der Ansicht, dass Kirchengemeinden diese Leistungen nicht selbst erbringen konnten, sondern hier der Unterstützung selbstbewußter, einflußreicher und zu kollektivem Handeln bereiter Bürger bedurften.


Chor und Querhaus des Wetzlarer Dorms von Süden. Eigenhändige Zeichnung von Albrecht Meydenbauer (1834 – 1921) Unten rechts eigenhändig datiert und signiert "A. Meydenbauer 1860" Meydenbauer begründete die Vermessung von Baudenkmälern durch Einsatz der Fotografie und etablierte damit die Fhotogrammetrie als Dokumentations- methode in der Denkmalpflege. Diese Außenansicht der Südseite von Chor und Querhaus des Doms entstand auf der Grundlage von Fotoaufnahmen. Meydenbauer vermerkte handschriftlich, welche Details noch nicht fotografiert und in die Zeichnung übertragen worden waren.

Vergleicht man diesen Aufruf mit den Aktivitäten, die der Gründung des Kölner Dombau-Vereins voraufgegangen waren, so wird rasch deutlich, wie stark diese rheinische Vereinsgründung zum Zweck der Erhaltung einer historischen Kirche die Vorstellungen in Wetzlar beeinflusst hatte. Folgendes war in Köln vor sich gegangen:

Prominente Kölner Bürger hatten 1840 in einer Eingabe an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. um Erlaubnis zu einer Vereinsgründung nachgesucht. Die Eingabe wurde zustimmend beschieden und der König sagte zu, den Verein jährlich mit 10.000 Talern zu unterstützen. Daraufhin konnte der Kölner Dombau – Verein 1842 seine Tätigkeit aufnehmen. Im Vorfeld der Vereinsgründung hatte die Aufsehen erregende Auffindung der beiden Teile des originalen Aufrisses der mittelalterlichen Domfassade durch Georg Moller 1814 in Darmstadt und durch Sulpiz Boisserée 1816 in Paris dem Gedanken der Fertigstellung des Doms bereits starken Auftrieb gegeben [6]. Die Romantik erschloss in dieser Zeit durch ein verändertes Verständnis dem bisher eher gering geschätzten Mittelalter neue Würde. Auch fand die wachsende Nationalbegeisterung in dem zu vollendenden Dom ein wirkungsmächtiges Symbol für die deutsche Einheit – ein Gedanke, der es selbst dem sicherlich nicht preußisch–national gesonnenen Emigranten Heinrich Heine in Paris nahelegte, einen Aufruf zur Gründung eines Pariser Hilfsvereins für die Vollendung des Kölner Doms mit zu unterzeichnen.

In Köln wie in Wetzlar hatte das Mittelalter die jeweils bedeutendste Kirche als Bauruine hinterlassen. Während in Köln mit wesentlicher Unterstützung des Dombau–Vereins der Weiterbau des Doms umgesetzt und 1880 abgeschlossen wurde, schloss der schlimme Gesamtzustand der Wetzlarer Kirche einstweilen noch den Gedanken an eine baldige Fertigstellung des unvollständigen Bauwerks aus. In Wetzlar war das bescheidenere Nahziel die Erhaltung des bestehenden, wenn auch unvollendeten Baus. Allerdings wurde das verführerisch Naheliegende des Vollendungsgedankens deutlich, wenn schon dieser erste Aufruf zur Gründung eines Dombau–Vereins 1857 als weiteres Ziel nannte, den Dom seiner baulichen Vollendung entgegen zu führen.

Im Ganzen scheint dieser erste Wetzlarer Dombau–Verein in der Gründungsphase auf Schwierigkeiten gestoßen zu sein, die sich in der Rückschau wohl nicht vollständig benennen lassen. Irritierend ist, dass man erst 1869 eine Satzung und die Liste der Mitglieder eines neuen Vorstands zur Genehmigung vorlegte. Beide Elemente der Vereinstätigkeit waren damals anzeige- und genehmigungspflichtig. Man muss sich rückblickend ins Gedächtnis rufen, dass das Vereinsrecht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein hochrangiges Politikum war. Das "Allgemeine Preußische Landrecht" von 1794 hatte zwar den preußischen Untertanen das Recht zur Bildung von Vereinigung und zur Abhaltung von und Teilnahme an Versammlungen zugestanden, den Clubs, Gesellschaften, Lesekabinetten aber jede politische Aktivität untersagt. Im "Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes" vom 27. Dezember 1848 erschienen auch das Recht der freien Vereinsbildung und das Recht der Versammlung als Grundrechte, doch


Paul Wiegand (1786 – 1866) Fotografie, um 1860

blieben sie ohne Bedeutung, weil sich mehrere Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes weigerten, das Gesetz zu veröffentlichen und damit sein Inkrafttreten verhinderten. Im August 1851 hob dann die Bundesversammlung den Grundrechtekatalog förmlich wieder auf. Inzwischen hatten allerdings Württemberg 1848, Preußen, Bayern, Sachsen und Hessen 1850 das Vereins- und Versammlungsrecht in ihren Territorien wieder zugelassen. 1854 verschärfte allerdings ein erneuter Bundesbeschluss die Repressionen, denen Vereine staatlicherseits ausgesetzt waren. Ungeachtet des vielfach zitierten biedermeierlichen Hangs zum Vereinswesen war es demnach durchaus nicht einfach, tatsächlich einen Verein zu gründen, der den gesetzlichen Vorschriften entsprach, also jedenfalls unpolitisch war.

Einen weiteren Grund für diesen zögerlichen Beginn der Vereinstätigkeit – Aufruf zur Gründung eines Dombau-Vereins und erste Schritte zur Vereinsbildung 1857, Vorlage eine Satzung und Benennung eines neuen Vorstands 1869 - wird man auch in der Biografie des sicherlich wichtigsten Gründungsmitglieds suchen müssen, des Juristen und Historikers Paul Wigand (1786 – 1866) Der Mitstudent und Freund der Büder Grimm war als Amtsgerichtsdirektor nach Wetzlar gekommen, fand aber, als 1848 das Amtsgericht zum Kreisgericht erhoben wurde, in dieser Funktion keine weitere Verwendung. Seine persönliche Enttäuschung war groß, denn er vermutete hinter der Zurückstellung seiner Person politische Ursachen, schied aus dem Justizdienst aus und betätigte er sich bis zu seinem Tode als Privatgelehrter. Persönliche Schicksalsschläge und unerquickliche häusliche Verhältnissen führten dazu, dass seine letzten Lebensjahre von Depressionen überschattet waren. Unter diesen Umständen scheint sein Einsatz für den projektierten Dombau–Verein stetig abgenommen zu haben, doch konnte man das Projekt o h n e den hochverdienten Gelehrten anständigerweise wohl auch nicht vorantreiben. Wigand verstarb 1866 [7].


Der Wetzlarer Dom um 1900 Fotografie

Eine direkte Beteiligung dieses Dombau–Vereins an einer der zahlreichen Reparaturen im späteren 19. Jahrhundert war bisher nicht nachzuweisen. Erstmals könnte er sich an Instandsetzungsarbeiten in den Jahren 1872/73 beteiligt haben, doch liegen hierfür wie auch für andere Aktivitäten im Verlauf des späten 19. Jahrhunderts bisher keine Erkenntnisse vor. Indessen verschlimmerte sich der Zustand der Kirche sichtlich. Auf Verfügung des Regierungspräsidenten in Koblenz wurde 1880 das Querschiff abgesperrt, 1892 musste der Durchgang neben dem Heidenturm und 1903 schließlich die gesamte Westfront, der "Heidenhof", abgesperrt werden. Der Dom war zu einem Problem für die öffentliche Sicherheit geworden und rief örtliche und überörtliche Behörden auf den Plan [8].