Eine kleine Chronik

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Der Wetzlarer Dombau-Verein e.V.

Der dritte Wetzlarer Dombau Verein

Wie schnell sich die Sorge um Erhalt und Fortbestand des Wetzlarer Doms erneuern würde, hat damals sicher niemand vorausgesehen. Am 8. März 1945 traf eine Bombe den Ostteil des Doms mit dem Chor und beschädigte die Kirche insgesamt schwer. Der Lettner war samt der darauf stehenden Orgel zusammengestürzt, die beiden seitlichen Emporen abgerissen, Mauerwerk und Gewölbeteile zerstört. Die Druckwelle war so stark, dass auch im Langhaus die Kirchenbänke umgeworfen und die Orgel der evangelischen Gemeinde sowie die großen Kirchenfenster zerstört wurden, um nur die schwersten Schäden zu nennen.

Angesichts dieser Verwüstungen - es waren die stärksten in der Geschichte des Doms – nahm der Landrat mit den beiden Domgemeinden Ende 1945 erste Kontakte wegen der Wiederbegründung eines Dombau-Vereins auf und schon am 31. Januar 1946 konstituierte sich tatsächlich der dritte Dombauverein in Wetzlar. Es erscheint plausibel, dass alle mit dem Dom Befassten, sofern sie dreißig Jahre zurück denken konnten, sich an das Modell des so erfolgreichen zweiten Dombau-Vereins erinnerten. Wenn der Landrat, in dessen Dienstbereich ja die Dombauverwaltung angesiedelt war, erste Gespräche mit den beiden Gemeinden führte, ging es dabei sicher um die Frage, ob dem Verein wieder die finanzielle Abwicklung der bevorstehenden Baumaßnahmen übertragen werden

Kriegszerstörungen 1945: o.lks.: Das Hauptschiff o.re.: Das Chorpolygon u.lks.: Abriss des zerstörten Polygons u. Mitte: Provisorische Bretterwand vor dem Chor u.re.: Arbeiten am Chorgewölbe

Objekt "Wiederaufbau des Doms" zu generieren, waren bedeutend. Einige davon seien kurz in Erinnerung gebracht. Angesichts der Notwendigkeit, die in großer Zahl zuziehenden Flüchtlinge mit Wohnraum und Arbeit zu versehen, erschien der Wiederaufbau der zerstörten Teile des Wetzlarer Doms nachrangig. Zudem hatte eine erste Kostenschätzung ergeben, dass für 125.000 Mark die zerstörten Wände und Dächer in einfachster Bauweise wiederhergestellt, aber für nur 15.000 Mark die noch stehenden Reste des Chors abgetragen werden könnten. Der Einsatz freiwilliger Helfer zur Beseitigung der Trümmer stieß schnell an Grenzen, weil die mit Bleiklammern zusammengehaltenen Steinquadern nur mit schwerem Gerät und unter Mitwirkung von Fachleuten gehoben werden konnten. Viele Handwerker befanden sich aber noch in Kriegsgefangenschaft oder arbeiteten besser bezahlt an Neubauprojekten. Baumaterialien unterlagen der Bewirtschaftung durch die Militärverwaltung und waren dementsprechend knapp. Wegen der Zwangsbewirtschaftung in den Besatzungszonen hatte die Reichsmark als offizielle Währung praktisch keinen realen Wert mehr.

Es zeichnete sich zudem bald ab, dass die katholische Gemeinde, durch die zugezogenen Flüchtlinge stark angewachsen, mit dem Platz im Chor zukünftig nicht mehr auskommen würde. Selbst wenn man also den Chorraum wieder benutzbar machte, erschien die tradierte Aufteilung der Kirche nicht mehr sinnvoll. Daher schloss man zunächst nur die Öffnung zum Chor provisorisch mit einer Bretterwand, reparierte die Fenster in den Seitenschiffen und ermöglichte so die Nutzung des verbliebenen Raums – Mittel- und Querschiff und die beiden Seitenschiffe - durch beide Gemeinden.

Angesichts dieser Umstände erscheint es fast wie ein Wunder, dass der Verein sozusagen aus dem Stand 85.963 Reichsmark einsammeln und davon kurzfristig 39.311 Reichsmark für Aufräumungs- und Reparaturarbeiten ausgeben konnte. Die Schwierigkeiten hielten an, weil die Währungsreform vom 20. Juni 1948 das bis dahin nicht verausgabte Vereinsvermögen auf 2.302 DM reduzierte, bald danach die Preise anstiegen und die Zahl der Arbeitslosen wuchs. Unter diesen Umständen wäre es verständlich gewesen, wenn die Interessen in der Wetzlarer Bevölkerung sich in andere Richtungen verlagert hätten. Ungeachtet dessen konnte jedoch der Verein bis Mai 1951 schon wieder insgesamt 86.513 DM für die Wiederaufbauarbeiten zur Verfügung stellen [13].

Wie ist dieser Erfolg zu erklären?

Zunächst verhinderte die zentrale, exponierte Lage des Doms, die eingetretenen Zerstörungen zu übersehen oder gar zu vergessen. Beide Gemeinden waren durch den Verlust ihres Gotteshauses unmittelbar betroffen und wurden allsonntäglich wieder daran erinnert. Die Diskussion, die es tatsächlich gab, ob man den Chor ganz abreißen oder in vereinfachten, modernen Formen wieder aufbauen sollte oder ob eine Rekonstruktion in den tradierten Formen die bessere Lösung wäre, scheint nur kurz gewesen zu sein. Die letztgenannte Lösung fand allgemeinen Zuspruch, obwohl sie die teuerste war. Mit der Festlegung des Ziels scheint das Engagement und die Spendenbereitschaft der Bevölkerung einen kräftigen Schub erhalten zu haben, denn fünf Jahre nach seiner Gründung hatte der Dombau-Verein wieder 210 Mitglieder. Wichtige Impulse gab offenbar auch das Engagement Wetzlarer Firmen. Die Firma Leitz stellte 21.679 DM zur Verfügung, von denen 9.000 DM aus Spenden der Belegschaft stammten. Hinzu kamen Zuschüsse aus Stiftungen, staatliche Zuschüsse und die Beiträge der beiden Domgemeinden. Insgesamt waren bis Mai 1951 ca. 200.000 DM für den Wiederaufbau des Doms verausgabt worden. Die Wiederherstellung des Chorpolygons erforderte voraussichtlich weitere 150.000 DM. Sicherlich war es hilfreich, dass der beteiligte Konservator Dr. Feldkeller in einem Vortrag die geleisteten und die noch ausstehenden Arbeiten erläuterte. Die örtliche Presse unterstützte die Maßnahmen durch den Abdruck von Appellen [14] und Zustandsberichten und referierte ausführlich die Ergebnisse der ersten Mitgliederversammlung des Dombau-Vereins im Mai 1951. Vielleicht wirkte es auch ermutigend, dass kurz vor Beginn des "Europäischen Gesprächs" vom 20. bis 28. August 1949 die Trümmer weggeräumt waren, die die öffentliche Sicherheit gefährdeten, und dass sogar einige der kriegszerstörten Bauten im Altstadtkern wie etwa das Lottehaus wieder aufgebaut worden waren [15]. Nicht zuletzt muss man berücksichtigen, dass beide Domgemeinden durch den Zuzug von Flüchtlingen gewachsen und damit finanziell leistungsfähiger geworden waren.

Nach dem Abschluss der äußeren Wiederherstellungsarbeiten wurde die Wiederherstellung des Dominnern mit Energie vorangetrieben. Der Entschluss, den zerstörten Lettner


Der Lettner zwischen dem Langhaus und dem Chor. Fotografie um 1925

nicht wieder aufzubauen, bezeichnete eine neue Qualität im Verhältnis der beiden Domgemeinden zueinander. So war auch die Bereitstellung der Mittel für eine neue Orgel durch die Familie Leitz ein Signal, das weitreichende Wirkung hatte, denn die Orgel sollte von den Organisten beider Konfessionen genutzt werden [16]. Die gemeinsame Nutzung des gesamten Doms erwies sich in dieser Zeit auch als eine Werbeaussage, die in der Öffentlichkeit mit Wohlwollen und Zustimmung zur Kenntnis genommen wurde. Die Firma Buderus, vertreten durch den damaligen Generaldirektor Dr. Grabowski, beteiligte sich mit einer leistungsfähigen Heizungsanlage für den Dom an den Wiederherstellungsarbeiten und ließ auch neue Windfänge an den Eingängen des Doms anbringen. Für weitere Innenarbeiten waren 1955 noch einmal 80.000 bis 90.000 DM erforderlich, doch gab die Übergabe der Orgel am 14. Mai 1955 Hoffnung auf einen guten Abschluss der Arbeiten [17]. Der damalige Schatzmeister des Dombau-Vereins, Dr. Wilhelm Witte, der gelegentlich als die "Seele" des Vereins bezeichnet wurde, erklärte sich erneut bereit,


Die neuen farbigen Chorfenster von Ludwig Baur, 1958/59


Die Beckerath - Orgel im Dom, ein Geschenk der Familie Leitz, Wetzlar

sowohl die Mitgliederwerbung als auch die Einwerbung von Spenden in der heimischen Wirtschaft und bei staatlichen Stellen zu intensivieren. Der Höhepunkt der Mitgliederzahl hatte kurz nach der Wiedergründung 1946 bei fast 300 Mitgliedern gelegen, war 1952 auf 210 Mitglieder zurückgegangen und betrug im Oktober 1965 genau 100 Mitglieder. Der Effekt, das mit dem Fortschritt der jeweiligen Maßnahmen das Interesse der Gesamtbevölkerung und damit auch die Mitgliederzahl des Dombau-Vereins zurückging, ließ sich wie bei der großen Sanierung 1902-1910 auch jetzt wieder beobachten und würde auch in der Folgezeit den Vereinsvorstand beschäftigen müssen.

Zunächst aber konnte sich der Dombau-Verein Ende 1961 auf den Einbau der beiden farbig ornamentierten Fenster im Chorquadrat, die er finanziert hatte, bis Ostern des Folgejahres freuen. Mit ihnen hielt nach der Gestaltung des Altars ein weiteres Stück Gegenwartskunst im Dom seinen Einzug, der mit der Buntverglasung des Chorpolygons 1958/59 durch Ludwig Baur seinen verheißungsvollen Anfang genommen hatte [18].